Angst trennt oder verbindet (4/6)

In dem vorangegangenen Teil dieser kleinen Serie zum Thema „Angst“ habe ich hinterfragt, ob wir alle nicht von unserer Angst sprechen oder ob es ggf. Menschen gibt, die es sehr wohl tun. Ich will in diesem Teil einmal mehr auf die Zukunftsangst gucken, die sich in schlaflosen Nächten und einer Angst vor der Angst bemerkbar macht. Die Differenzierung ist wichtig und muss noch weitergedacht werden, denn Angst kann uns voneinander trennen. Die Gesellschaft kann sich durch die Angst spalten lassen.  

Die Erklärung finden wir ebenfalls durch die intrinsische Motivationsforschung begründet, die es seit den 1990ziger Jahren gibt. Nach den Erkenntnissen der Forscher tragen 20% der Menschen diese existenzielle Angst in sich. Betroffene stellen sich regelmäßig Fragen: „Wie schaffe ich für mich / für uns eine emotional sichere Zukunft?“. Sie denken in Szenarien, immer und immer wieder, um die sicherste Alternative wählen zu können. Ihre Gedanken kreisen damit immer um negative Aussichten in der Zukunft. 

In Zeiten wie diesen wächst die Angst, denn es gibt kaum sichere Alternativen oder sichere Vorhersagen, alle und alles ist betroffen. Die Konsequenzen unseres Handelns sind nicht sicher, denn es gibt sie nicht mehr die 100%ige Sicherheit. Die Konsequenzen all dessen, was heutzutage passiert oder noch passieren könnte, kann keiner absehen: Unsere Zukunft, die aktuell dabei ist sich komplex zu verändern, zeigt sich für viele Menschen immer unsicherer und bedrohlicher. Es ist buchstäblich wie ein Fass ohne Boden.  

Wie wir uns unsere Vorsichtsmaßnahmen selbst erklären, wie wir sie anderen erklären hat dabei sehr viel mit den eigenen Bedürfnissen zu tun. Bedürfnisse wie das Streben nach Risikovermeidung sind für den Einzelnen sinn- und wertvoll und damit handlungsleitend. Sie haben einen starken Einfluss auf die Gestaltung unseres individuellen Rahmens. Der Rahmen, den wir uns aufgrund unserer Ziele und Bedürfnisse geschaffen haben, der wiederrum kann allerdings trennend oder verbindend wirken.

Die Trennung 
Stellen Sie sich bitte den Unternehmer vor, der noch in der Startup Phase ist, einen wegen der Pandemie-Maßnahmen arbeitslosen Familienvater und die Top-Managerin eines großen Konzerns. Diese drei Persönlichkeiten leben zwar im Jahr 2021 in Deutschland, sie er-leben 2020 und 2021 aber sehr unterschiedlich, und zwar gemäß ihren individuellen Bedingungen.  

Auf einer Veranstaltung der Kinder treffen diese drei Persönlichkeiten aufeinander und fangen ein Gespräch an. Allerdings dauert das nicht lange. Der Familienvater entzieht sich dem kurzerhand, weil er den Eindruck gewinnt, dass sich die Managerin und der Unternehmer nur mit materiellen und Ego-Problemen beschäftigen, aber nicht mit den menschlichen Schicksalen. 

Tatsächlich treibt den Unternehmer folgendes um: Bevor das Unternehmen durchstarten konnte, wurde er durch den Lockdown daran gehindert, ausreichend Kunden zu akquirieren. Die Umstellung auf social distancing-Vertrieb ist langwierig. Nun macht er sich Gedanken um die Freunde, die ihre Jobs aufgaben, um mit ihm das Unternehmen aufzubauen. Die Gedanken kreisen um die Zukunft des Unternehmens und darum, wie die Freunde bleiben können. Worüber er spricht, sind seine Schwierigkeiten im Vertrieb. 

Familienvater: Das Eigenheim ist noch nicht abbezahlt und das Homeschooling zehrt an seinen Nerven, bis dahin lag die Kindererziehung in der Hand der Mutter. Die aber ist abgetaucht in der Arbeit durch einen zusätzlichen Job und kränkelt zudem seit geraumer Zeit. Die Vorstellung, das Leben in den eigenen Vier-Wänden aufgeben zu müssen und die angeschlagene Gesundheit seiner Frau belasten den Familienvater. Worüber er spricht, ist die Sorge um das Haus und die kränkelnde Mutter seiner Kinder. 

Konzern-Managerin: Sie weiß das Familienleben ist von und mit ihrem Mann gut organisiert. Nach Jahren gefühlt ungerechter Kämpfe, allein weil sie eine Frau ist, hat sie es ins Managementboard geschafft. Sie hat viel dafür gegeben, doch jetzt fühlt sich bedroht, von einem Virus, der im engsten Freundeskreis zu zwei Todesfällen führte. Worüber sie spricht, ist die pingelig genaue Umsetzung der Pandemiemaßnahmen im Unternehmen. Und über die Nachlässigkeit der männlichen Kollegen. 

Das Gemeinsame 
Der Volksmund sagt „Gleich und gleich gesellt sich gerne“. Tatsächlich ist auch das mit der modernen Motivationsforschung zu erklären: Wir können uns über die gleichen Bedürfnisse, wie hier Risikovermeidung, freuen – wenn wir es befriedigen können – oder ärgern – wenn wir es nicht befriedigen können. Je ähnlicher unsere Lebensbedingungen oder je ähnlicher die Lebensphasen dabei sind, desto schneller fühlt man sich zugehörig.  

In dem vorgenannten Beispiel reden die drei Persönlichkeiten mit Blick auf die Zukunft über Ängste und Sorgen (Ziel: Risikovermeidung), allerdings in sehr unterschiedlichen Bedingungen.  Sich darüber im Klaren zu sein, welche Qualität die Angst hat und wie stark diese Angst das eigene Leben zurzeit beeinträchtigt (Quantität), hilft Brücken zu schlagen. „Mensch-sein“, auch im Job, hat viel mit diesem Wissen über sich selbst zu tun. Die bewusste Wahrnehmung der eigenen Ängste, das Einschätzen und Anerkennen der Ängste anderer ist wichtig, damit wir uns nicht entfremden oder spalten lassen. 

Werten Sie daher nicht, welche Angst berechtigter oder welche richtiger ist – die Angst vor dem Virus, die Angst um die Folgen für ihre Kinder oder die Insolvenz / Inflation, etc. Wer die Emotion in sich trägt, ist beeinträchtigt und Rationalität in Diskussionen sind mit der Angst im Nacken kaum möglich. Angst kennt keinen Respekt vor der Funktion, dem Alter oder dem Geschlecht. Punkt!!  

Das Mittel der Wahl ist eine offene, zugewandte Kommunikation, um Schlimmeres zu verhindern. Jede und jeder sollte den Anteil beitragen, den sie oder er beitragen kann. Die Klarheit, die wir im Umgang mit anderen Menschen brauchen, finden wir nicht in der Verwendung derselben Begrifflichkeiten, sondern in derselben Bewertung von Situationen oder Begrifflichkeiten.  

Wenn Sie sich die Angst nicht für Ihr Unternehmen bzw. für Ihre Mitarbeiter näher anschauen, vielleicht würden Sie es für Ihre Kinder tun wollen? 

Was diese diffuse Angst mit unseren Kindern macht, das erfahren Sie im nächsten Blog. Weil unsere Kinder die Zukunft von Morgen sind, müssen wir heute schon wissen, was wir tun können, um Zuversicht und Stärke zu vermitteln.